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Richard WagnerAn article on Berlioz, May 1841Original German text |
This page gives the original German text of an article by Richard Wagner which he wrote during his first stay in Paris of 1839-1842 for the Dresdner Abendzeitung of 5 May 1841. The article deals with musical life in Paris at the time, but the most important and interesting part of it, which is reproduced here, concerns Wagner’s view of Berlioz; it was the first text on Berlioz that Wagner published. Wagner met Berlioz in Paris at the time, and later recounted his stay in his autobiography Mein Leben, of which excerpts are reproduced on this site in the original German, and in English and French translations. The present article is also available on this site in English and French translations. All translations are by Michel Austin, except for the larger part of the French translation (by Camille Benoit) which is reproduced from the Paris weekly Le Ménestrel of 5 October 1884 pp. 257-8. We thank Stefan Wenzel for pointing us to the original German text, which has been transcribed by Michel Austin from a copy on the website of the Richard Wagner Museum in Bayreuth. The spelling of the original has been retained.
Am 5. Mai 1841.
Es wird mir klar, dass ich endlich einmal mit aller Gewalt auf Berlioz zu sprechen kommen muss, da ich einsehe, es will sich nicht so gelegentlich so fügen. Schon dieser Umstand, dass ich bei der Besprechung der Tageserscheinungen des Pariser Genuss-, oder wenn man will, Kunst-Lebens nicht von selbst Veranlassung hielt, auf den genialen Musiker zu gerathen, erscheint mir charakteristisch genug und giebt mir guten Stoff zu einer Einleitung meines Urtheils über Berlioz, der jedenfalls das Recht hat zu fordern, dass ich ihm ganz besonders eine starke Seite in meinen Nachrichten aus Paris widme.
Berlioz ist kein gelegentlich entstandener Komponist, ich konnte deshalb auch nicht gelegentlich auf ihn gerathen. Er steht in keinem Zusammenhange und hat nichts zu thun mit jenen prunkenden, exklusiven Kunstinstituten von Paris; die Oper wie das Conservatoire haben sich ihm seit seinem ersten Auftreten mit verwunderter Eile geschlossen. Man hat Berlioz gezwungen, eine entschiedene Ausnahme von der grossen langen Regel zu seyn und zu bleiben, und diess ist und bleibt er auch von innen und aussen. Wer seine Musik hören will, muss ganz eigens desshalb zu Berlioz gehen, denn nirgends wird er sonst etwas davon antreffen, selbst nicht da, wo man Mozart und Musard neben einander antrifft. Man hört Berlioz Kompositionen nur in den Konzerten, von denen er selbst jährlich eins oder zwei giebt; diese bleiben seine ausschliessliche Domäne: hier lässt er seine Werke von einem Orchester spielen, das er sich ganz besonders gebildet, und vor einem Publikum, das er in einem zehnjährigen Feldzuge sich erobert hat. Nirgends sonst kann man aber noch von Berlioz hören, es müsste denn auf den Strassen oder im Dome seyn, wohin man ihn von Zeit zu Zeit zu einer politisch-musikalischen Staatsaktion beruft. Dieses abgesonderte Alleinstehen Berlioz erstreckt sich aber nicht nur auf seine äussere Stellung, sondern hautpsächlich in ihm liegt auch der Grund seiner inneren Entwicklung; so sehr er Franzos ist, so sehr sein Wesen, seine Richtung mit der seiner Landsleute sympathisirt, — so steht er doch allein. Niemand erblickt er vor sich, an den er sich stützen dürfte, Niemand neben sich an den er sich anlehnen könnte. Aus unserem Deutschland herüber hat ihn der Geist Beethoven’s angeweht, und gewiss hat es Stunden gegeben, in denen Berlioz wünschte, Deutscher zu seyn; in solchen Stunden war es, wo ihn sein Genius drängte, zu schreiben, wie der grosse Meister schrieb, dasselbe auszusprechen, was er in dessen Werken ausgesprochen fühlte. So wie er aber die Feder ergriff, trat die natürliche Wallung seines französischen Blutes wieder ein, desselben Blutes, das in Auber’s Adern braus’te, als er den vulkanischen letzten Akt seiner Stummen schrieb, — — der glückliche Auber, er kannte Beethoven’s Symphonien nicht! Berlioz aber kannte, ja noch mehr, er verstand sie, — sie hatten ihn begeistert, sie hatten seinen Geist berauscht — und dennoch ward er daran erinnert, dass französiches Blut in seinen Adern flösse. Da fühlte er, er könne nicht wie Beethoven werden, empfand aber auch, er könne nicht wie Auber schreiben. Er ward Berlioz und schrieb seine “phantastische Symphonie”, ein Werk, über das Beethoven lächeln würde, gleich wie Auber darüber lächelt, das aber im Stande war, Paganini in die fieberhafteste Exstase zu versetzen und seinem Schöpfer eine Partei zu gewinnen, die keine andere Musik in dieser Welt mehr hören will, als die “phantastische Symphonie” von Berlioz. Wer diese Symphonie in Paris hört, gespielt von Berlioz Orchester, muss wirklich glauben, ein noch nie vernommenes Wunder zu hören. Ein ungeheurer innerer Reichthum, eine helden-kräftige Phantasie, drängt einen Pfuhl von Leidenschaften wie aus einem Krater heraus; was wir erblicken sind kolossal geformte Rauchwolken, nur durch Blitze und Feuerstreifen getheilt und zu flüchtigen Gestalten gemodelt. Alles ist ungeheuer, kühn, aber unendlich wehthuend. Formen-Schönheit ist nirgends anzutreffen, nirgends der majestätisch-ruhige Strom, dessen sicherer Bewegung wir uns hoffnungsvoll anvertrauen möchten. Der erste Satz aus Beethoven’s C-Moll Symphonie wäre mir nach der “symphonie fantastique” reine Wohlthat gewesen.
Ich sagte, die französische Richtung sei auch in Berlioz vorherrschend; in der That, wäre diess nicht der Fall, und wäre es eine Möglichkeit, dass er sich aus ihr entfernen könnte, so dürften wir vielleicht auch in ihm, was man auf gut deutsch nennt, einen würdigen Schüler Beethoven’s erhalten. Jene Richtung macht es ihm jedoch unmöglich, sich dem Beethoven’schen Genius unmittelbar zu nähern. Es ist diess die Richtung nach Aussen, das Aufsuchen der gemeinsschaftslichen Anklänge in den Extremitäten. Wenn im geselligen Leben sich der Deutsche am liebsten zurückzieht, um dem eigentlichen Nährungsquell seiner produktiven Kraft in seinem Innern nachzuforschen, sehen wir im Gegentheile den Franzosen diesem Quelle in den äussersten Spitzen der Gesellschaft nachstreben. Der Franzose, der zunächst daran denkt, zu unterhalten, sucht die Vervollkommnung seiner Kunst in der Veredelung, in der Vergeistigung dieser Unterhaltung, verliert aber nie den unmittelbaren Zweck aus dem Auge, nämlich, dass sie gefällig sey und die grösstmöglichste Zahl von Zuhörern zu fesseln vermöge. Der Effekt, die augenblickliche Wirkung ist und bleibt ihm somit Hauptsache; entbehrt er der inneren Anschauungskraft gänzlich, so genügt ihm die Erreichung dieses Zweckes allein; — ist er aber mit wahrhaft schöpferischer Kraft begabt, so bedient er sich dieses Effekts allerdings aber nur als ersten und wichtigsten Mittels, um seine innere Anschauung kundzugeben. — Welcher Zwiespalt muss nun nicht in einer Künstler-Seele wie der Berlioz entstehen, wenn ihn auf der einen Seite eine rege innere Anschauungs-Kraft drängt, aus dem tiefsten, geheimnisvollsten Brunnen der Ideenwelt zu schöpfen, während ihn auf der anderen Seite die Anforderung und Eigenschaft seiner Landsleute, denen er angehört und deren Sympathieen er theilt, ja, wenn ihn sein eigener Gestaltungstrieb darauf hinweis’t, zich zunächst in den äusserlichsten Momenten seiner Schöpfung auszusprechen? Er fühlt, dass er etwas Aussergewöhnliches, etwas Unendliches wiederzugeben hat, dass Auber’s Sprache viel zu klein ist, dass es aber doch ungefähr wie diese Sprache klingen müsse, um sein Publikum sogleich von vorn herein zu gewinnen, und somit geräth er in jene unheilig-verworrene, modern-frappante Tonsprache, mit der er die Gaffer betäubt und gewinnt, und diejenigen zurückstreckt, die leicht im Stande gewesen wären, seine Intentionen von innen heraus zu verstehen, während sie so die Mühe verschmähen, sich von aussen hinein zu fühlen.
Ein anderes Uebel ist, dass es scheint, als ob Berlioz sich in seiner Isolirtheit gefalle, und sich hartnäckig darin zu behaupten suche. Er hat keinen Freund, den er für würdig hielte, von ihm um Rath befragt zu werden, dem er erlaubte, ihn auf diese oder jene Unform in seinen Arbeiten aufmerksam zu machen.
Mit grossem Bedauern erfüllte mich in diesem Bezuge die Anhörung seiner Symphonie: “Romeo und Julie”. Neben den genialsten Erfindungen häuft sich in diesem Werke eine solche Masse von Ungeschmack und schlechter Kunst-Oekonomie, dass ich mich nicht erwehren konnte zu wünschen, Berlioz hätte vor der Aufführung diese Komposition einem Manne wie Cherubini vorgelegt, der gewiss, ohne dem originellen Werke auch nur den geringsten Schaden zuzufügen, es von einer starken Zahl entstellender Unschönheiten zu entladen verstanden haben würde. Bei seiner übermässigen Empfindlichkeit würde aber selbst sein vertrautester Freund es nicht wagen, einen ähnlichen Vorschlag zu thun; auf der anderen Seite frappirt er seine Zuhörer in dem Maasse, dass sie in ihm eine ganz unvergleichliche Erscheinung erblicken, an die kein Maasstab zu legen sey, und somit wird Berlioz immer unvollendet bleiben und vielleicht wirklich nur als eine vorübergehende, wunderbare Ausnahme glänzen.
Und dies is schade! Verstände es Berlioz, sich zum Meister des vielen Vortrefflichen zu machen, das aus der letzten, glänzenden Periode der modernen französichen Musik hervorgegangen ist, vermöchte er es, seine von ihm mit so eitlem Muthe geltend erhaltene Isolirtheit aufzugeben, um sich an irgend eine würdige Erscheinung der gegenwärtigen oder vergangenen Musik-Epoche, als an einen Stützpunkt anzulehnen, so müsste Berlioz zuversichtlich einen so mächtigen Einfluss auf die musikalische Zukunft Frankreich’s erhalten, dass sein Andenken unvergesslich seyn würde, denn Berlioz besitzt nicht nur schöpferische Kraft und Originalität der Erfindung, sondern ihn ziert auch eine Tugend, die seinen komponirenden Landsleuten gewöhnlich so fremd ist, als uns Deutschen das Laster der Koketterie. Diese Tugend ist, dass er nicht für’s Geld schreibt, und wer Paris, wer das Wesen und Treiben der Pariser Komponisten kennt, der versteht diese Tugend hier zu Lande zu würdigen. Berlioz ist der verbitterste Feind alles Gemeinen, Bettelhaften und Gassenhauerischen, — er hat geschworen, den ersten Strassen-Orgel-Dreher zu erwürgen, der es wagen sollte, eine seiner Melodieen zu spielen. So fürchterlich dieser Schwur ist, so fürchterlich doch nicht im Geringsten für das Leben eines dieser Gassen-Virtuosen; ich bin vielmehr überzeugt, dass von Niemand Berlioz Musik mit grösserer Verachtung behandelt wird, als von den Mitgliedern jener ausgebreiteten Musikanten-Zunft. — Und dennoch kann man Berlioz nicht absprechen, dass er es sogar versteht, eine vollkommen populäre Komposition zu liefern: allerdings populär im idealsten Sinne. Als ich seine Symphonie hörte, die er für die Translation der Juli-Gefallenen geschrieben, empfand ich lebhaft, dass jeder Gamin und blauer Blouse und rother Mütze sie bis auf den tiefsten Grund verstehen müsse; freilich würde ich dieses Verständniss mehr ein nationelles [?], als ein populäres nennen sollen, denn vom Postillon zum Longjumeau bis zu dieser Juli-Symphonie ist allerdings noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Wahrlich, ich bin nicht übel Willens, diese Komposition allen übrigen Berlioz’schen vorzuziehen, sie ist edel und gross von der ersten bis zur letzten Note; — aller krankhaften Exaltation wehrt eine hohe patriotische Begeisterung, die sich von der Klage bis zum höchsten Gipfel der Apotheose erhebt. Rechne ich noch das Verdienst hinzu, das sich Berlioz durch die überaus edle Behandlung der ihm allein zu Gebote gestellten Militär-Blasinstrumente erwarb, so muss ich wenigstens in Bezug auf diese Symphonie wiederrufen, was ich oben über die Zukunft der Berlioz’schen Kompositionen sagte, — ich muss mit Freude meine Ueberzeugung aussprechen, dass diese Juli-Symphonie existieren und begeistern wird, so lang eine Nation existirt, die sich Franzosen nennt. — —
— Ich bemerke, dass ich meiner Pflicht, etwas über Berlioz zu schreiben, besonders der Länge und Breite nach vollkommen Genüge geleistet habe. Ich halte es daher nun auch für billig und meiner Korrespondenz zuträglich, dass ich jetzt zu Tagesberichten übergehe.
Sogar in dem ersten komme ich noch einmal auf Berlioz zurück; ich will nämlich von dem Konzerte sprechen, das Liszt zum Besten der Subscription für Beethoven’s Denkmal gab, und welches Berlioz dirigirte. Wunderbar! Liszt — Berlioz — und in der Mitte, and der Spitze oder am Ende (wie man will) Beethoven! Man könnte ausschweifen und eine Berlioz’sche Symphonie über dieses wunderbare dreifache Thema schreiben! Man könnte Fragen an die Macht richten, die alles erschuf und erschafft, was da war und existirt, — man könnte fragen — — — Fragen wir nicht, sondern bewundern wir die Weisheit und Güte der Vorsehung, die einen Beethoven erschuf! — Liszt und Berlioz sind Brüder und Freunde, beide kennen und verehren Beethoven, Beide stärken ihre Kräfte aus dem Wunderbronnen seines Reichthums, und Beide wissen, dass sie nichts Besseres thun konnten, als für Beethovens Denkmal ein Konzert zu geben. Doch ist einiger Unterschied unter ihnen zu machen, vor allen Dingen der, dass Liszt Geld gewinnt ohne Kosten zu haben, während Berlioz Kosten hat und nichts gewinnt. Nachdem diessmal Liszt seine Kassenangelegenheiten in zwei goldreichen Konzerten geordnet hatte, dachte er aber ausschliesslich nur noch auf seine gloire; er spielte für arme mathematische Genie’s, und für das Denkmal Beethovens. Ach, wie gern gäben so Viele Konzerte für Beethoven! Liszt konnte es thun und einen Beweis für die Paradoxe liefern, dass es herrlich ist, ein berühmter Mann zu seyn. Was aber würde und könnte Liszt nicht, wenn er kein berühmter Mann wäre, oder vielmehr, wenn ihn die Leute nicht berühmt gemacht hätten! Er könnte und würde ein freier Künstler, ein kleiner Gott seyn, statt dass er jetzt der Sklave des abgeschmacktestens Publikums, des Publikums der Virtuosen ist; dieses Publikum verlangt von ihm um jeden Preis Wunder und närrisches Zeug; er giebt ihm, was sie wollen, lässt sich auf den Händen tragen und — spielt im Konzert für Beethoven’s Denkmal eine Fantasie über Robert den Teufel! Diess geschah aber mit Ingrimm. Das Programm bestand nur aus Beethoven’schen Kompositionen; nichts desto weniger verlangte das hinreissende Publikum mit Donnerstimme Liszt’s vortrefflichstes Kunststück, jene Fantasie, zu hören. Es stand dem genialen Mann gut, als er mit den in ärgerlicher Hast hingeworfenen Worten: “Je suis le serviteur du public; cela va sans dire!” sich an den Flügel setzte und mit zerknirschender Fertigkeit das beliebte Stückchen spielte. So rächt sich jede Schuld auf Erden! Einst wird Liszt auch im Himmel vor dem versammelten Publikum der Engel die Fantasie über den Teufel vortragen müssen! vielleicht wird es dann das letzte Mal seyn!
Unter Berlioz vorzüglichsten Eigenschaften muss seine Fähigkeit als Dirigent genannt werden; er bewies sie von Neuem in dem besprochenen Konzerte. Es ist stark davon die Rede, dass er die Stelle des Orchester-Chefs der grossen Oper erhalten werde, wogegen Habeneck Cherubini’s Stelle am Konservatoire einnehmen würde. Es stösst sich nur noch an Cherubini’s Leben; Alles wartet auf seinen Tod, wahrscheinlich um dann sogleich Konzerte für sein Denkmal geben zu können, da er bei Lebzeiten bereits so arg vergessen worden ist. Sollte man es glauben, der Komponist des “Wasserträgers” lebt hier in Paris, und an keinem der tausend Orte, wo man Musik macht, ist es möglich, eine Note dieses “Wasserträgers” zu hören! Ich liebe alles Neue ungemein, bin der Mode ergeben wie kein Anderer und lebe in der festen Ueberzeugung, dass ihre Herrschaft ebenso nothwendig als mächtig sey; — wenn man aber vor lauter Mode so weit kommt, dass ein Mann, wie Cherubini, total vergessen wird, so möchte ich lieber wieder zu dem alten Fracke greifen, in dem ich konfirmirt wurde und welchen ich trug, als ich den “Wasserträger” zum ersten Malle hörte. […]
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