Zeitschrift für Musik 14

The Hector Berlioz Website

 

Hans von Bülow

 Two articles of 1852 on Benvenuto Cellini

 

Original German text

© 2012 Michel Austin for the transcription from the original text

 

Zeitschrift für Musik 18

    This page gives the original text of two articles on Berlioz’s opera Benvenuto Cellini published by Hans von Bülow in the Neue Zeitschrift für Musik vol. 36 nos. 14 and 18 on 2 April and 30 April 1852. Separate pages give an English translation and a French translation of the articles, both by Michel Austin. The spelling of the original publication has been preserved (it differs in a number of respects from current practice), and some typographical errors have been corrected. To give emphasis to particular words the original (printed in Gothic script) uses extra spaces between letters; this has been reproduced here with italics, which the original Gothic script does not use. A few words in Latin and French in the original are printed in Roman script; here they have been italicised.

    As pointed out in the introduction to the English and French translations, three articles on the subject were announced but only the first two were published.

Neue Zeitschrift für Musik vol. 36, no. 14, 2 April 1852, pp. 156-9

Aus Weimar.

Den 26sten März.

„Benvenuto Cellini”, Oper in vier Acten, nach dem Französischen von A. F. Riccius. Musik von Hektor Berlioz.

    Am 20sten März fand auf der Weimarischen Hofbühne die erste Vorstellung, am 24sten darauf die erste Wiederholung des lang erwarteten und schon im Voraus vielbesprochenen dramatischen Tonwerks eines französischen Autors Statt, der, trotz mancher Widersacher im Vaterlande, im rechtlichen wie factischen Besitze des Ruhmes ist, der Heros der Instrumentalmusik seiner Nation zu sein, und der, wie verschieden auch sonst die Ansichten deutscher Musiker über den Werth seiner productiven Leistungen in diesem Gebiete sein mögen, durch seine glänzende Verdienste um die Kunst der modernen Instrumentirung sich bei allen Fachkundigen diesseits des Rheines seit geraumer Zeit den Rang einer ersten Autorität erworben hat. Berlioz’s einzige Oper „Benvenuto Cellini” hatte schon am 16sten Februar hier und in Deutschland überhaupt zu ersten Male, als Festoper zur Feier des Geburtstags der Großherzogin in Scene gehen sollen; die bedauernswerthe Verzögerung der Aufführung schreibt sich von einer anhaltenden Indisposition des Hauptdarstellers her, zum Theil wohl auch von einer ziemlich offenbaren, schlechten Disposition für das von Franz Liszt in Angriff genommene Werk seitens anderer zu der Herstellung desselben leider unumgänglicher cooperirender Faktoren.

   Bei dieser Gelegenheit können wir die Widerlegung eines von prinzipiellen Gegnern jeder Manifestirung zon Liszt’s künstlerischer Wirksamkeit in Weimar nach auswärts verbreiteten Gerüchtes nicht für überflüssig erachten. Man hat von hier aus in verschiedene Journale einzulügen gesucht, die Schuld der genannten Verzögerung sei den vor dem Einstudiren der Oper nicht gehörig veranschlagten und während desselben erst später klar gewordenen unermeßlichen Schwierigkeiten zuzuschieben, welche das Berlioz’sche Werk, namentlich den Sängern, und diesen zwar noch unter Begleitung der drohenden Gefahr eines completten Stimmruins zumuthe. Daran ist kein wahres Wort. So lange es Operncomponisten giebt, die mit ihren Arbeiten eine höhere künstlerische Intention als die des bloßen musikalischen Ohrenkitzels, eine dramatische Absicht verbinden und dieser vor anderen Rücksichten entschiedenen Vorrang ertheilen, anstatt sich auf eine dienstwillige Handlangerschaft zu Gunsten eines im musikalischen Drama unberechtigten Kehlenvirtuosenthums zu beschränken, ertönt darüber das alte, stets aufs Neue abgeleierte Klagelied schlechtbemäntelter Sängereitelkeit und Darstellerträgheit. Alle Operncomponisten, die dieser gediegeneren künstlerischen Richtung angehörten, Gluck, Spontini, Weber u. a. hatten unter diesen in ihrer Einzelheit unheilbaren Uebelständen zu leiden, und Berlioz, trotz einzelner Sünden gegen diese Richtung, Sünden, welche auf dem Gewissen der lasten, die ihm diese Conzessionen mit einem straßenräuberischen „aut-aut” abgedrungen, stellt sich mit seinem „Benvenuto Cellini” in die Reihe der Genannten, er giebt sich au fond als einen entschiedenen Bekenner des Gluckschen Prinzips kund. Die Beschwerde über Ueberanstrengung, eventuelle Stimmengefährdung, der Sänger durch die Musik des „Cellini” ist aber besonders schon darum von ausgezeichneter Abgeschmacktheit, weil das Berlioz’sche Werke als eine komische Oper fast durchgängig in einem dem Charackter derselben entsprechen Stile gehalten ist und in seiner Dauer die Zeit von höchstens drittehalb Stunden nicht überschreitet, ein Umstand, welcher die Direction der großen Pariser Oper („Benvenuto Cellini” wurde in diesem Theater im September 1838 zum ersten Male aufgeführt) veranlaßte dem „Cellini” ein großes fünfactiges Ballet nachfolgen zu lassen, das sich weniger zu der Oper als Dessert verhielt, als diese ihm gleichsam als Entrées diente. Ferner läßt sich aber, die Partitur in der Hand, Note für Note die möglichtste Rücksichtnahme und Schonung für den Sänger, die Einhaltung einer angemessenen, natürlichen Stimmlage in einem mäßigen Umfange und vor Allem die große Discretion in der Orchesterbegleitung aller Solo- und Ensemblestücke ohne Chor bequem nachweisen. Um nur Eines zu erwähnen: von jenem schmählichen Mißbrauch der Posaunen in der neuen französischen komischen Oper bei Auber und Adam hält sich Berlioz so fern, daß er diese Instrumente z. B. den ganzen ersten Act hindurch pausiren läßt. — Somit fiele denn die Behauptung, eine öftere Aufführung der Berlioz’schen Oper sei mit Nachtheilen für die Stimmmittel der Executanten jenseits der Lampen verbunden, als ein grundloses Gerede in sich zusammen; die Musik des Cellini ist weder von ermüdender Länge, noch erheischt sie angreifende Ausdauer durch eine aufregende Leidenschaftlichkeit, wie eine tragische Oper sie mit sich zu bringen pflegt; gegenüber den Anstregungen, welche dem Sänger in mancher sehr beliebten modernen Oper angemuthet werden, erscheint sie sogar bequem ohne darum minder dankbar zu sein. Dagegen verlangt die Berlioz’sche Musik von den Ausführenden freilich eine solide musikalische Bildung und eine Intelligenz, welche sich fähig erweist, die spezialen Eigenthümlichkeiten einer so ausgesprochenen Individualität, z. B. Berlioz’s ungewöhnliche Rhythmen, den lebhaften Wechsel derselben, seine originelle Melodienführung in sich aufzunehmen und sie dem Geiste des Verfassers gemäß im Vortrage wiederzugeben. Wer allerdings den Geist eines Tonsetzers wie Berlioz schwer zu fassen vermag, dem wird es schwer, auch die Buchstaben seines Werkes zu behalten. Denn Berlioz in seinem Verhältniß zum Publikum, und das erste Publikum eines Tonsetzers bilden die Ausführenden seines Werkes, gehört zu Denjenigen, von welchen Custine sagt, qu’il faut de l’esprit pour leur en trouver.

    Für die Schwierigkeiten des „Cellini”, die sich bei einer näheren Betrachtung bedeutend reduziren, allerdings aber in einem gewissen Maaße gegenüber jenen gewöhnlichen Theaterschlendrianopern, bei denen das handwerksmäßige Einstudiren genügt, nicht abzuleugnen sind, haben drei Wochen bequem hingereicht, um unter Liszt’s eifrigen Bemühungen und dem namentlich von Seiten des Orchesters rühmenswerthen Eingehen auf dieselben, für alle bei der Aufführung in Anspruch genommenen Kräfte vollkommen überwunden zu werden. In den vermeintlichen Schwierigkeiten des Cellini kann also keine deutsche Bühne einen annehmbaren Vorwand finden, sich der Nachfolge des von dem Weimarischen Hoftheater gegebenen Beispiels zu entziehen.

    Sehen wir zuvörderst an die Erledigung der gebräuchlichen Nachfragen nach der Ausführung des in Rede stehenden Werkes, seiner Aufnahme bei der Zuhörerschaft u.s.w. bevor wir dasselbe im Ganzen und Einzelnen selbst besprochen.

    Schon die erste Vorstellung des „Benvenuto Cellini” ließ, während dieser für eine neue Oper vielfach gefährliche Abend fast immer den Charackter einer mehr oder minder Vertrauen erweckenden Generalprobe an sich zu tragen pflegt, die Haupterfordernisse einer richtigen Ausführung Berlioz’scher Musik: Präcision und Correctheit in der Nüancirung nirgends vermissen. Namentlich hat sich unsere wackere Hopkapelle hier mit glänzendem Ruhm bedeckt und sich zu der Höhe jenes Collectiv-Virtuosen emporgeschwungen, der durch das Orchester bei Berlioz realisirt sein will. Nicht minder ist die Ausführung der an manchen Stellen ziemlich complizirten Chöre zu rühmen. Was die einzelnen Darsteller betrifft, so erwähnen wir zuvörderst Hrn. Beck (Cellini), dessen Persönlichkeit als Schauspieler, wie als Sänger, sich im Ganzen ziemlich geeignet für diese Rolle erwiesen; hat sein derselben zugewendeter Fleiß im Verein mit seinen Mitteln bereits ein erfreuliches Resultat zuwege gebracht, so darf er bei noch etwas mehr Identifizirung mit dem etwas zu einseitig, d.h. zu ernst und schwerfällig, an das Morose streifend aufgefaßten Charakter gewiß sein, den „Cellini” zu einer seiner vorzüglichsten Glanzpartien zu machen. — Neben Hrn. Beck zeichnete sich vor Allen Frau Milde (Teresa, Cellini’s Geliebte) aus, die ihre als Spielpartie etwas gegen die übrigen zurücktretende Rolle durch ihren reizenden Gesang — Berlioz hat freilich auch die Teresa musikalisch sehr brillant und dankbar ausgestattet — so interessant zu machen wußte, daß wir mehr als genügend Grund fanden, uns durch ihren seelenvollen Vortrag sowohl als ihre zwar gräfliche Pretention entbehrende, doch darum nicht minder anmuthige und zierliche Coloraturen für die Nichtwiederkehr der — Leipziger Lerche zu trösten. — Hr. Milde (Fieramoska, Cellini’s Rival) eine Person, die in der Oper selbst von ihrem Gegner nicht unparteiisch, aber gerecht als „elender Weichling” und „prahlerischer Feigling” charakterisirt wird, war als Sänger, wie immer, ächt künstlerisch und erwarb sich mit der trefflichen, geistvollen Arie im zweiten Act als solcher den rauschendsten Beifall; doch verstand er est nicht, sein spezifisch heroisches Darstellertalent vom Cothurn herab auf den soccus zu bewegen. — Man kann es ihm so übel nicht nehmen: ne forçons point notre talent ist eine beherzigenswerthe Künstlerregel; übrigens trifft der Vorwurf eines Mangels an vis comica, einigermaßen durch die eigentümliche Natur dieser Komik, von der wir später reden werden, gemildert, im Grunde sämmtliche Mitwirkende des hiesigen Personals: am meisten Hrn. Mayerhofer (Balducci, päpstlicher Schatzmeister, Teresa’s Vater) dessen Leistung überhaupt dem was man von ihm erwarten durfte, nicht entsprach, am wenigsten noch Frl. Wolff, welche als „Askanio” (Cellini’s Schüler) im Spiele viel Natürlichkeit und im Gesang bedeutende Fortschritte in der Anwendung ihrer anmuthigen Stimmmittel entfaltete, welche bei ihrem Debüt als „Emmeline” vor einem halben Jahre noch nicht zur Geltung kamen. Hrn. Höfer’s musikalische Intelligenz ist zu mäßig, um eine Rolle, wie die des Cardinals Salviati, der für die Weiterentwicklung der Handlung von seinem Erscheinen im dritten Acte als deus ex machina, musikalisch als ein pomphafter Repräsentant seiner Kirche auftritt, ohne Zurückhaltung manches frommen Wunsches durchzuführen, doch genügte er und störte nicht. Das Letztere ist auch von den wenigen kleineren Nebenrollen zu sagen.

    Die äußere Ausstattung in Bezug auf neue Decorationen, scenische Arrangements, Aufzüge im Carneval u.s.w. war höchst glänzend und erregte bei uns nur das Bedauern jener mesquinen Oeconomie und stellenweisen Nachlässigkeit der Regie bei anderen hier eingebürgerten dramatischen Tonwerken, in denen das Drama nicht in diesem Grade der Musik untergeordnet ist, als bei dem „Benvenuto Cellini”.

    Die musikalische Leitung des Ganzen war gewiß die schwerste und hier in Weimar speciell die undankbarste Aufgabe. Wir glauben nicht, daß abgesehen vom Componisten irgend ein anderer der gegenwärtig activen Dirigenten derselben so gewachsen sein möchte als Franz Liszt. Diesen deshalb besonders zu rühmen, hieße „Eulen nach Athen tragen”, oder, um das Sprichwort zu lokalisiren, „Hofräthe nach Ilm-Athen tragen”.

    Und das Publikum, wie verhielt es sich bei der Sache? — Fällt die Haltung des Publikums, das bei einer gedeihlichen und naturgemäßen Entwicklung von Kunstinstituten, überhaupt von Kunstzuständen, ein unstreitig so bedeutendes Gewicht in die Wagschaale legt, nicht auch in das Bereich der Kritik? Wenn ein Publikum sich die höchste Gerichtsbarkeit über Kunstwerke und künstlerische Leistungen vindizirt und seine Spenden von Lob oder Tadel, Ruhm und Vergessenheit als höchste Remuneration dafür pronirt, und dies ist der Fall, gewiß hat dann auch der Kunstverständige volle Berechtigung, die Haltung eines Publikums zu kritisiren, zu untersuchen, ob der soi-disant-höchste Richter überhaupt urtheilsfähig ist und ob seine Richtersprüche irrig oder wahrheitsgemäß ausgefallen sind. Unser heutiges Theaterpublikum aller Orten, an der Nichtswürdigkeit unseres ganzen Theaters, also der Oper speciell jedenfalls ein gravirter Mitschuldiger, rechtfertigt mit wenigen Ausnahmen die stärksten Zweifel an seiner kunstrichterlichen Competenz: das vielköpfige Ungeheuer ist trotz der vielen Köpfe meist kopflos und sein hauptsächlichstes Prädicat jenes kurze Eigenschaftswort, das sich auf seine letzte Silbe reimt. Das Weimarische Theaterpublikum ist nicht besser noch schlimmer gerade als ein anderes; im Verlauf der Zeit hat der reinigende und belebende Einfluß von Liszt’s künstlerischem Wirken sogar eine kleine Minderheit sich heranbilden sehen, die entschieden guten Geschmack und ein höheres Interesse als das der bloßen Unterhaltungslust an den Tag legt; aber der Hauptbestandtheil bleibt doch auch hier wie überall unfähig jeden Genusses, zu dem es nicht passiv wie das Pferd zur Krippe schreiten kann, unfähig sich an etwas zu freuen, das ihm nicht seine eigne Mittelmäßigkeit wiederspiegelt, dabei vorurtheilsvoll, mißtrauisch und obendrein noch meinungs- und leidenschaftslos. Dieses Publikum nun, wie wir es eben nicht schmeichelhaft, aber treu geschildert, besuchte die erste Vorstellung des „Cellini” in einer Stimmung, gemischt aus natürlicher Neugier und einem, Dank der hiesigen Localpresse, die es stereotyp für gut findet, jede Manifestirung von Liszt’s Thätigkeit im Voraus schlecht zu finden, vielfach geschürten ungünstigen Vorurtheil gegen das neue Werk. „Eine in Paris gefallene Oper wagt man uns vorzuführen, eine Oper, von der es klar ist, daß sie die Stimmen unserer Lieblingssänger ruiniren wird”: so ungefähr ließen sich diese Vorurtheile resümiren. Leicht begreiflich ist es, daß ein so gelauntes Publikum von Berlioz’scher Musik nicht angeheimelt oder enthusiasmirt werden konnte; im Gegentheil mit Ausnahme der Musikstücke leichterer, frivoler Gattung und der beiden stark applaudirten Ouvertüren, fühlte man sich sehr unbehaglich, befremdet, „bewildert”. Die erste Aufführung des „Cellini” wurde daher ziemlich kalt und schweigsam aufgenommen; doch befanden sich die Hörer sichtlich unter dem unfreiwillig eingestandenen Drucke einer ihnen nich blos imponirten, sondern ihnen unwillkürlich imponirenden Erscheinung. Die zweite Vorstellung, etwas spärlicher besucht, ging jedoch unter dem sämmtlichen Musiknummern und den dramatischen Hauptmomenten gewährten lebhaftesten Beifalle vorüber. Mancher Besucher der Wiederholung wurde veranlaßt, seine erst voreilig gefaßte Meinung wesentlich zu modifiziren. Eine dritte, bald wünschenswerthe Vorstellung wird das Uebrige thun, d.h. dem Werke wenigstens einigermaßen die verdiente Anerkennung verschaffen, zu dessen Verständniß, wie der Pariser Referent Joseph d’Ortigue sagt, nicht eine erste, sondern zehn erste Vorstellungen kaum genügen können. Populär wird der „Cellini” auf unserer Bühne nie werden können; das Drama, obgleich kurzweilig, enthält zu wenig Fesselndes und keine einzige spannende und ergreifende Situation und da vermag denn auch all das Feuer und der Schwung der Berlioz’schen Musik das Publikum nicht zu elektrisiren. Doch wird sich die Oper — nach dem terminus technicus — auf dem Repertoir halten.

    Man hat es von verschiedenen Seiten kurios und sonderbar gefunden und seine mehr oder minder geistlosen Glossen darüber gemacht, daß Liszt eine vor bereits fünfzehn Jahren in Paris „durchgefallene” nach drei Aufführungen ad acta gelegte Oper von Berlioz in Weimar zur Aufführung empfohlen und gebracht. Vor Allem kann das Fiasko einer Oper an einem Orte durchaus nicht maaßgebend zur Beurtheilung ihres Werthes sein. Es wäre eine interessante Aufgabe, alle die Meisterwerke aufzuzählen, die das Publikum bei ihrer ersten Aufführung zu verwerfen beliebt hat; wir führen hier nur kurz an Don Juan, Figaro, Barbier von Sevilla, Euryanthe und wollen diese Liste ein andermal vervollständigen. Ferner kann das Fiasko des Werkes eines nahmhaften Componisten in der Pariser großen Oper für den, der das Gemachte der dortigen Successe kennt, verbunden mit dem Umstande, daß „Benvenuto Cellini” nur drei Vorstellungen in Paris erlebt hat, also viel weniger als jede durchgefallene Oper, die man vor ihrem Begräbnisse doch so oft giebt, bis sich der größere Theil des Publikums damit bekannt gemacht und unwiderruflich den erstgefällten Verdammungspruch bestätigt hat, nur zu Gunsten des gefallenen Werkes sprechen. Berlioz’ Oper ist aber in Paris gefallen als ein Opfer des Coteriewesens, das von jenem dreiköpfigen bissigen Cerberus ausgeht, welcher eifersüchtig den Eingang der großen Pariser Oper seit zwei Dezennien bewacht. Und das edle Dreiblatt hat ganz weise gehandelt indem es sich einen Rivalen vom Leibe hielt, der sehr gefährlich werden konnte; „Benvenuto Cellini” ist ein Werk, das, trotz vielem Unerbaulichen, mehr künstlerischen Werth, weit mehr Geist, Adel und Originalität enthält, als irgend eines der weltberühmten Produkte jener Triarchen. „Benvenuto Cellini” würde vielleicht Nachfolger erhalten haben, die noch gefährlicher hätten werden können; ein neuer Versuch unter so schmählichen Bedingungen wie das erste Mal wurde Berlioz auf immer verleidet (das Buch war ihm z. B. aufgedrungen worden) und der „Cellini” blieb sein einziges dramatisches Tonwerk. Liszt’s Unternehmen, eine in Paris durchgefallene Oper nach einem Zwischenraume von fünfzehn Jahre auf einer deutschen Bühne zur Aufführung zu bringen, bedarf daher keiner Rechtfertigung. Wir fassen dasselbe im Gegentheil als einen schönen Act der Gerechtigkeit eines Einzelnen auf, der die Ungerechtigkeit der Gesammtheit, einer Nation, vergüten will. Daß eine deutsche Bühne zum Hintergrunde dieser Handlung dient, ist nicht minder erfreulich; rührt doch die Verkennung Berlioz’s im Vaterlande gerade mit davon her, daß er zu viel deutsche Ader in sich hat, und soll denn die Kunst die engen Schranken des Vaterlandes kennen?

    Die Aufführung des „Cellini” in Weimar durch Liszt ist ein feierlicher Protest gegen das gänzliche Ignoriren und Verkennen eines dem deutschen Geiste so nahe verwandten Künstlers wie Berlioz. „Cellini” is kein dramatisches Kunstwerk im höheren Sinne, es ist vielleicht nur die dramatische Studie eines musikalischen Genies. Genie ist aber Berlioz nicht abzusprechen; der zwingende, innere Schaffensdrang, die Originalität und Neuheit, die Energie und Potenz, die freie, so unabhängig entwickelte Selbständigkeit des Styles, denen wir in seinen Werken begegnen, drücken diesen den Stempel des Genies auf. Cellini ist eines derselben, in denen der Geist Berlioz’s so prägnant zur Erscheinung gelangt, daß die Kenntniß dieses Geistes wesentlich durch die seiner Oper mit bedingt wird. Hier und da hört man wohl anderswo ein Symphonie oder Ouvertüre von Berlioz als Seltenheit: zuerst ein größeres Werk von ihm, wie den „Cellini”, in Weimar zur Aufführung gebracht zu haben, ist ein unbestreitbares Verdienst Liszt’s, eine Ehre für Weimar, die man hier vielleicht nicht anerkennen wird, die es aber darum wahrhaftig nich weniger ist.

    Wir gehen nun in die Spezialkritik der Oper selbst, zuerst des Textbuches, dann der Musik ein.

(Fortsetzung folgt.)

Neue Zeitschrift für Musik vol. 36, no. 18, 30 April 1852, pp. 204-8

Aus Weimar.

„Benvenuto Cellini”, Oper in vier Acten, nach dem Französischen, von Hektor Berlioz.

(Fortsetzung.)

    Wir haben in dem Vorhergehenden das Bedenken geäußert, dem „Cellini” als Ganzen das Prädikat eines Kunstwerkes im höheren Sinne beizulegen. Dies wollen wir hier nun näher motiviren.

    Man würde uns gänzlich mißverstehen, wollte man aus diesem Bedenken ein den hohen künstlerischen Werth des musikalischen Theiles der Oper in Frage stellendes oder nur schmälerndes Votum ableiten, diesen Zweifel mit jenen banalen, unüberlegten und daher mehr als wohlfeilen Vorwurfsphrasen der Halbgebildeten concordiren lassen, welche die Berlioz’sche Musik überhaupt der Zerrissenheit und Verschrobenheit beschuldigen, weil ihre eigne Intelligenz nicht auf dem erforderlichen Niveau steht, um die Einheit und Ursprünglichkeit derselben zu erkennen.

    Ebenso wenig schließen wir uns aber auch in diesem Urtheile Denjenigen an, welche, allerdings ohne allen Aufwand von Gründen, dem Talente Berlioz’s die Befähigung zu dramatischen Arbeiten streitig machen wollen, und den „Cellini” als ein Instrumentalwerk darzustellen suchen, in welchem die Singstimmen der handelnden Personen nur als Zierrath zur Vermannichfaltigung des Klangcolorits des Orchesters figurirten.

    Um die Bezeichnung eines dramatischen Kunstwerkes zu verdienen, muß eine Oper noch ganz andere Erfordernisse befriedigen, als den Nachweis des Nichtvorhandenseins der eben genannten musikalischen Mängel, die den Glanz der Berlioz’schen Arbeit nicht Verdunkeln. Die Hauptbedingung eines musikalischen Dramas ist und bleibt vor Allem das richtige Verhältniß von Dichter und Componist, möge die Oper nun nach Stoff und Behandlungsweise in die Gattung der komischen oder der tragischen Oper einschlagen. Das Vermissen dieser Grundbedingung, einer Bedingung, nach welcher zur Zeit der Entstehung dieses Werkes und seiner ersten Aufführung in Paris freilich noch nicht gefragt wurde, weil man im ganzen blüthereichsten Opernirrthume eben tiefst befangen war, hält uns wesentlich ab, den „Cellini” für ein Kunstwerk im höheren Sinne zu erklären.

    Das Mißverhältniß der beiden Factoren der Oper zu einander liegt im „Cellini” übrigens durchaus nicht so klar auf der Hand, als in einer Menge anderer Opern. Das Libretto des „Cellini” — wir haben natürlich das Original, das französische der HH. Léon de Wailly und Auguste Barbier im Sinne, denn die Verdeutschung des Hrn. Riccius, mit wieviel Fleiß und Ueberlegung sie auch gearbeitet und so sehr ihr auch ein relativer Werth zugesprochen werden darf, bleibt eben doch eine matte Uebersetzungslimonade, — dieses Libretto hat verschiedene Vorzüge aufzuweisen vor den meisten neueren Exemplaren seiner Gattung, und kann daher nicht so schlechthin verworfen werden, wenn es auch in Erwägung der Unanklagbarkeit der Fatalität und seiner Priorität vor der Composition die Schuld an denjenigen Mißständen vornehmlich wird tragen müssen, welche den „Cellini” zu keinem Kunstwerke im höheren Sinne sich erheben lassen.

    In der That, es verdient das Textbuch des „Cellini” in mehr als einer Rücksicht eher gerühmt als getadelt zu werden. Der gewählte Stoff ist ein edler, würdiger; der Held ein Künstler, dessen Persönlichkeit ebenso interessant an sich, als für die Zeitgeschichte durch seine Memoiren merkwürdig, dessen Name durch die monumentalen Kunstwerke, die er der Nachwelt überliefert hat, bleibend ruhmvoll geworden ist. Die Zeit, der die Handlung angehört, das sechzehnte Jahrhundert, in welchem wenigstens im Privatleben noch Leidenschaften sich bethätigten, die dem entpoetisirenden Einflüsse der Reformation noch nicht erlegen waren, so wie der Schauplatz dieser Handlung, die ewige Stadt, geben ferner einen möglichst vortheilhaften Rahmen für den Helden ab, der auch bei den gebildeteren Deutschen durch die meisterhafte Uebersetzung seiner Memoiren vom „großen Heiden” beinahe populär geworden ist. Eignet sich nun auch die aus „Cellini”s’ Leben entnommene Episode vom Perseus-Gusse unter den die Vollendung des Cellini’schen Meisterwerkes begleitenden, d. h. erschwerenden, Umständen mehr zum Epos als zum Drama, constituirt das Daß und das Wie der Ausbeutung dieser Episode zu einem dramatischen Hauptmotive gerade einen der Hauptmängel des Textbuches, so enthält die Opera semi-seria noch andere Ingredienzien, noch andere leitende Gedanken, von denen wir namentlich Einen hervorheben möchten, dem der Umstand, daß er vom großen und groben Haufen erstlich vielleicht gar nicht verstanden und dann wahrscheinlich nicht sonderlich goutirt werden dürfte, nicht zur Unehre gereichen kann. Dem ächten Künstlersinne wird dieser Gedanke dagegen nicht antipathisch sein; er wird ihn zu schätzen wissen. Natürlich setzen wir bei der Gesinnung eines ächten Künstlers voraus, daß derselbe frei von dem Fehler der Selbstüberschätzung, freier noch vom Laster des Neides sei, d. h. daß er nicht zu seinen Gunsten ein fiat applicatio von dem Princip, um das es sich hier handelt, rufe, wenn ihn nicht künstlerisches Genie zu dieser Prätention berechtigt, und daß, befindet er sich in dem Falle, zu der eventuellen Selbsterkenntniß seiner Inferiorität gelangt zu sein, er darum nicht triangelfreundlich die Geltendmachung dieses Princips bei höheren und begabteren Künstlern bekämpfe. Dieses Princip ist einfach das der socialen und politischen Ausnahmestellung des Künstlers, erweitert, überhaupt das der Berechtigung einer Geistesaristokratie zu gewissen Privilegien, deren Ausübung eine zeitweilige Suspension des sogenannten Rechtszustandes involvirt, und die daher niemals zu Zunftprivilegien ausgedehnt, sondern jedes Mal nur an einzelne Individuen verliehen werden können.

    Im „Cellini” stellt sich die Sache so dar: Cellini entführt während des Carnevals seine Geliebte, die Tochter des päpstlichen Schatzmeisters Balducci und tödtet im Gewühl der Menge einen ihm von seinem feigen Rivalen, Fieramoska, der Cellini’s Entführungsabsicht durch eine trügerische Verkleidung sich selbst zu Nutze machen will, vorgeschobenenen Raufbold (Pompeo). Cellini gelingt es sich nach dieser That zu retten und seine Freunde und Schüler bringen ihm unterdeß die Geliebte in sein Haus. Doch als Beide vereinigt ihre Anstalten zur Flucht zu treffen beginnen, wird diese durch das Eintreten des Vaters der Entführten und des Rivalen, der als Kläger wegen des getödteten Freundes auftritt, vereitelt. Das Temperament des Helden läßt uns nun zwar hoffen, er werde, nach Erschöpfung aller Mittel zu einem gütlichen Vergleich, auf irgend eine andere Art mit seinen beiden Gegnern zu Ende kommen — doch der unerwartete Besuch des Cardinals Salviati in der Werkstätte des Cellini schneidet jeden möglichen Versuch zur Rettung ab. Diesen führt zwar nur das Kunstinteresse zu Cellini, indem er nur um sich nach der Erfüllung des seinem Clienten gegebenen Auftrags, der Vollendung der vom Papste bestellten Perseus-statue, für welche er zur Ermunterung dem etwas liebeträgem Künstler bereits manchen Vorschuß geleistet, zu erkundigen kommt, aber die heftigen Klagen von Cellini’s Feinden, die er hier antrifft, machen den wohlwollenden Mäcen des Künstlers plötzlich zum rauhen Richter des Menschen Cellini. Da tritt ihm, innerlichst empört über diese Scheidung des Menschen vom Künstler, des Künstlers von seinem Kunstwerke und von der Kunst überhaupt, im Hochgefühle seiner Würde als Priester einer Offenbarung des Göttlichen, die bereits damals anfing, wenigstens ebensoviel Respect wieder zu beanspruchen als jene andere Offenbarungs-Religion, Cellini entgegen, bereit in erhabenem Unwillen sein Kunstwerk mit einem Hammerschlage zu zertrümmern, falls der Cardinal seine Drohung erfüllte, einem Anderen die Vollendung desselben übertragen und den Schöpfer desselben als Verbrecher behandeln zu wollen. Unwillkürliche Ehrfurcht erfaßt den Priester der Religion vor dem Priester der Kunst; das heitere Griechenthum trägt in dem Cardinal einen Sieg davon über das staatsstrenge Römerthum. Unter der Bedingung, daß Cellini sein Kunstwerk noch vor dem nächsten Abendroth vollendet habe, schenkt ihm der Cardinal Verzeihung für sein Vergehen, gewährt ihm Fürsprache bei Balducci zu seiner Verbindung mit dessen Tochter. Cellini löst diese Bedingung unter mannichfachem Kampf gegen allerlei Hindernisse und Widerwärtigkeiten.

    Ziehen wir die Moral hieraus, so ist es wohl jedenfalls diese: die Kunst steht über aller Moral, der Künstler, der würdige Priester seiner Kunst, hat, sei er im Uebrigen auch wie er wolle, gerechten Anspruch auf höhere persönliche Geltung als der einfache gute Mensch und Bürger. An dem Leben eines Künstlers ist mehr gelegen als an dem jedwedes anderen Nichtkünstlers; darf man schon sagen, daß die Existenz eines großen Kunstwerkes nicht zu theuer erkauft wäre mit den Existenzen unterschiedlicher menschlicher Monaden, und dürfte dieser Behauptung wohl kein vernünftiger, stichhaltiger Widerspruch entgegenzusetzen sein, so läßt sich um so weniger etwas gegen die Forderung einwenden, daß der Künstler, der Inhaber jener schöpferischen Kraft als der Erzeugerin einer unbestimmbaren Anzahl möglicher Kunstwerke, gewisse Vorrechte in der bürgerlichen Gesellschaft genieße, und — warum nicht unter diesen auch eine bedingte Straflosigkeit für gewisse von ihm gegen diese Gesellschaft verübte Vergehen? So logisch und so gerecht es nun auch erscheint, daß ein Exceptionelles, wie der Träger künstlerischer Begabung, demzufolge auch exceptionell im Leben gestellt werde, so sind wir doch darauf gefaßt, daß Mancher aus dem Publikum gegen die allerdings mehr grüne als graue Theorie, daß der Künstler außer dem Gesetze stehe, zu protestiren sich bemüßigt fühlen wird. Es ist dies eine ganz naturgemäße Consequenz aus der schiefen Stellung, welche unser modernes Publikum dem Künstler gegenüber einzunehmen gewöhnt worden ist. Um nicht dem Anscheine Raum zu geben, als wollten wir das Publikum als unsere derzeitige bête noire zu Tode reiten, geben wir sogleich von vornherein zu, daß der Künstler es ist, der die Schuld an der Verkehrung seines Verhältnisses zum Publikum trägt.

    Seit Rossini ist die Diktatur im Reiche der Tonkunst vom Künstler niedergelegt und dem Publikum übertragen worden. Der krittelnde, nicht einmal mehr ursprünglich naiv Genießende — natürlich, weil er das stereotype Object des Genusses eben in- und auswendig kennt und die von ihm bestellte Arbeit (eine nicht von ihm bestellte weist er zurück) nun untersucht, ob sie die Postulate seiner Anordnungen erfülle oder nicht — dieser krittelnd genußunfähige Genießende ist Gesetzgeber geworden anstatt des producirenden, nun freilich zum Handwerker degradirten Künstlers. Geringschätzung, ja gänzliche Verachtung des Künstlers von Seiten des Publikums als Lohn für die Wegwerfung des Künstlers, d. h. seine Unterwerfung unter den Geschmack und die Laune des auch in seinen Anforderungen erfindungsimpotenten Publikums, ist hiervon wieder eine ganz natürliche Folge. Der moderne Künstler soll „amüsiren”, soll die Anstands halber durch die classischen Meister, zu deren Zeit das Verhältniß ein anderes war, auszustehende konventionelle „Langeweile vertreiben”, die Kunst ist dazu da, um „Vergnügen zu machen”, das Kunstwerk soll „plaisirlich” sein, und der Künstler im Grunde nur den Beruf eines „veredelten Hanswurstes” ausüben. Wie kann es da mit der Würde und Heiligkeit der Kunst und ihrer Priester aussehen, wenn „Künstler” diese Hanswurstsrolle ohne alle Scheu acceptiren, wenn „Aesthetiker” diese Grundsätze als die alleingültigen öffentlich predigen und auf theoretischem Wege zu sanctioniren suchen!

    Wir haben für diese zwar unerquickliche aber sehr naturgetreue Schilderung die Gunst beiläufiger Einschmuggelung in Anspruch genommen, trotzdem sie nicht in unmittelbarer Beziehung zu dem Gegenstande unserer Besprechung steht, und dies deshalb, weil sie uns indirect auf die bestimmtere, deutlichere Erörterung des Eingangs dieses Artikels aufgestellten These hinleitete. Wenn wir dort aussprachen, Benvenuto Cellini sei kein Kunstwerk im höheren Sinne, so heißt das für uns: es ist als Kunstwerk zu unvollkommen und in seiner Totalität zu verfehlt, um dem Publikum der Zukunft genügen, zu edel und geistvoll dem Publikum der Gegenwart sympathisch sein zu können. Den Kern der Handlung haben wir vorhin exponirt; dieselbe ist einfach, durchsichtig, natürlich; die Ausführung einzelner Charaktere sowohl, als die Situationen höchst drastisch; der Styl, d. h. die Diction, warm, lebensvoll und reich an frischer, witziger Komik. Bei solchen, leider jetzt nicht eben oft selbstverständlichen Vorzügen hätte das Publikum vernünftigerweise keinen Grund seine Ansprüche für nicht befriedigt zu erklären — die deutsche Uebersetzung hat diese Vorzüge zwar abgeschwächt, aber nicht aufgehoben — um so weniger als dasselbe sich bei anderer Gelegenheit mit so unbedenklicher Toleranz sachunverständig äußert. Auch sind wir der festen Ueberzeugung, daß das Libretto des „Cellini” mit einer Flotow’schen Musik z. B. verkuppelt, höchst beifällig aufgenommen und von glänzendster Wirkung gewesen sein würde; das Flotow’sche Princip „durch den musikalischen Ausdruck einen dem bloßen Worte nicht mehr erreichbaren Grad von Gemeinheit zu erzielen” würde dem Textbuche, der Handlung, für ihren Mangel an modernem Materialismus und der dazu gehörigen Portion Sentimentalität, die Wimper der Nachsicht zugesenkt haben. Umgekehrt würde man sich vielleicht die Berlioz’sche Musik eher gefallen lassen, trotz ihrer Geistigkeit und Nichttrivialität, wenn als Held der Oper statt der noblen, leidenschaftlichen Künstlernatur einer kunstgeschichtlichen Persönlichkeit etwa die mythische Schänkwirthsnatur eines historischen verrückten Schneiders fungirte, wenn statt römischer Carnevalsscenen der pikantere Thé dansant von todten Nonnen oder dergleichen das Auge oder die nur für das Abgeschmackte empfängliche Sinneneinbildungskraft des Zuschauers ergötzte, u. s. w.

    Dasjenige Mißverhältniß, welches sich in dem hier Gesagten zwischen Textbuch und Musik für den nach dem Eindrucke des Werkes im Publikum Urtheilenden ironisch so zu Tage stellt, ist nun allerdings nicht identisch mit Dem, welches eine ernsthafte Kritik zu rügen hat. Nachdem wir die Vorzüge des Textbuches signalisirt, wollen wir, ohne darum den Standpunkt des musikalischen Dramas der Zukunft auf eine vor fünfzehn Jahren geschriebene Oper anwendbar zu machen, die Mängel desselben veranschaulichen. Der Hauptfehler liegt in der Behandlungsweise des Stoffes, der an und für sich brauchbar war. Das ganze Drama ist zu flüchtig concipirt und trägt zu sehr das Gepräge eines dramatisirten Memoiren-Extraktes. Zwar sind die Gesetze der Einheit, der Zeit und des Ortes nicht durch successive Vorführung von Scenen oder Tableaux verletzt, welche etwa nur einzelne Personen mit einander gemein hätten und in keinem Causalzusammenhange ständen, allerdings ist eine in dem Leben Cellini’s sehr bedeutsame Episode gewählt worden, der Guß des Perseus, seines Meisterwerkes, und dieses Ereigniß, oder diese künstlerische That, — wie man es nun nennen möge — bildet den rothen Faden, der sich durch das Drama hindurch zieht. Die handelnden und figurirenden Personen sind ferner nur dem Namen nach aus Cellini’s Memoiren entnommen (Cardinal Salviati, Askanio, Balducci, Fieramoska, Pompeo) sonst beliebig umgeschaffen und mit einander verschmolzen, der Schauplatz des Perseusgusses ist von Florenz nach Rom verlegt worden u. s. w., Alles in der Art, wie es geschehen ist, dem Drama zu Liebe. Aber das Drama als Ganzes ist kein gelungener Versuch geworden, trotz der anerkennenswerthen Mühe, dies Anecdotenhafte verschwinden zu machen und das Material zu einer gewissen Formeinheit zu condensiren. Als einen Hauptverstoß gegen die Form müssen wir schon die Eintheilung in 4 Tableaux (bei der Aufführung auf der Weimarischen Hofbühne 4 Acte bildend, in Paris je 2 Tableaux zu einem Acte vereinigend) rügen. Die ästhetische Nothwendigkeit der Eintheilung eines jeden dargestellten Dramas in 3, resp. auch 5 Acte liegt so sehr in der Natur des Dramas überhaupt, ist auch mehrmals am gegebenen Orte in diesen Blättern nachgewiesen worden, daß wir kein Wort weiter darüber zu verlieren brauchen; zu Dem wird kein Vernünftiger ein Naturgesetz der Pedanterie anklagen wollen. Die beste Kritik des Zuschnittes nach Aufzügen giebt die Handlung, giebt der Inhalt der einzelnen Acte selbst an die Hand; in den meisten Fällen wird man finden, daß bei dem zweiactigen Drama ein Act fehlt, d. h. ein Theil der Handlung vor dem ersten Aufzuge vor sich geht, möge es auch nur die Exposition sein, oder in den Zwischenact verlegt ist, oder daß derselbe einer Mesalliance mit einem anderen Theile verbunden ist, — daß bei dem vieractigen Drama eine unnöthige Ausdehnung oder Trennung des Zusammengehörigen, oder ein überflüssiges Anhängsel stattfindet. Zuweilen trifft es sich, daß ein Einfallen oder Ausfallen des Vorhangs diesen Schaden heilen kann, wie es denn auch Handlungen von drei Acten giebt, in denen ein Act wirklich fehlt und ein anderer völlig überflüssig ist. Die vier Tableaux des Cellini sind der Wirkung der ganzen Oper effektiv hinderlich; im zweiten Acte hat die eigentliche Katastrophe, die Entführung Teresa’s und die Tödtung Pompeo’s durch Cellini, bereits stattgefunden, im dritten löst sich der Knoten, soweit von einem solchen immer die Rede sein kann, indem der Cardinal Salviati aus einem diabolus ex machina zu einem deus ex machina durch Cellini bekehrt wird und ihm Verzeihung für das Geschehene unter der Bedingung alsbaldiger Vollendung seines Kunstwerkes gewährt. Cellini’s Charakter und Persönlichkeit läßt uns keinen Augenblick mehr im Zweifel ob des Ausgangs. Abgesehen davon, daß der Guß des Perseus eben in keiner Weise zu dramatischcr Vorführung geeignet ist, denn so hohes Interesse der Künstler Cellini für sich erregt, so wenig vermag ein nachgebildeter Schmelzofen bei irgend Jemandem, der nicht blos auf die Musik im Theater hört, Theilnahme zu erwecken, — ist es daher durchaus unnöthig, daß Cellini die Erfüllung des Gebotes seines Patrons, die Beendigung seines Kunstwerkes, wirklich vor den Augen des Zuschauers vollführe. Man ist über den Ausgang des Dramas nach dem dritten Acte ebenso befriedigt, als am Schlüsse des Freischütz, wo man auch nicht verlangt, in einem noch darauf folgenden Acte von dem Ablaufe des dem Jagerburschen Max durch den Eremiten vergönnten Probejahres besonders in Kenntniß gesetzt zu werden. Der Dichter des „Cellini” hat wohl auch einige Ahnung von der Mattigkeit des letzten Tableau’s gehabt und die drohende Gefahr eines „la fin découronne l’œuvre” ist ihm wohl nicht entgangen, denn er hat dasselbe durch eine Menge wechselnder Situationen und kleiner Incidenzien sichtlich zu beleben und dieses Scheinleben möglichst zu fristen gesucht. Doch vergebens. Der vierte Act ist für die Totalwirkung von wesentlichem Nachtheil, und befänden wir uns in dem Falle, dem Componisten zu einer theilweisen Umarbeitung im Interesse des Werkes und seiner größeren Geltung und leichteren Verwerthung rathen zu dürfen, so würden wir entschieden für den gänzlichen Wegfall des vierten Actes oder Tableaus stimmen und nur den Schluß, den Guß der Statue, in den dritten Act mit hinübernehmen, dessen Wirkung hierdurch jedenfalls bedeutend gewinnen würde. Das vierte Tableau ist zusammengeflickt und selbst für den rein musikalischen Zuhörer so ermüdend, daß es ihm für die Schönheiten der Schlußscene ziemlich genußunfähig bleibt. — Nicht minder rathsam wäre es bei einer solchen Umarbeitung, den ersten Act, der sich durch etwas Magerkeit auszeichnet, indem er nur von dem Entführungsplane Cellini’s und dessen Aushorchung durch seinen Rivalen handelt, mit etwas mehr Mannichfaltigkeit der Handlung auszustatten, namentlich mit solcher, in der zu einer näheren Charakteristik des Helden Gelegenheit geboten wird.

    Das führt wieder auf einen anderen Hauptfehler des „Cellini”, den wir deshalb nur kurz erwähnen wollen, weil er es im Hinblick auf die Eigenschaften, welche das Buch und die Musik einer modernen Oper beliebt machen, nur bedingungsweise ist und wir uns nicht gern den Anschein geben möchten, als wollten wir den ungerechten, weil aus schlechten Motiven abgeleiteten, Vorwurf des Publikums irgendwie sanctioniren. Es ist der, daß das Drama des „Cellini” nichts wahrhaft Erwärmendes, Packendes hat, keine überwältigende Erregung auszuüben vermag, während die Musik diese Ansprüche mit Recht erhebt. Das Volk verlangt von einem Drama die Darstellung allgemein menschlicher Leidenschaften; die Privatleidenschaft und Sondernatur eines dem (als getrennter Stand leider noch fortbestehenden) Künstlerstande angehörigen Helden liegt ihm als solche fern und wird erst dann ein ungetheiltes Interesse erregen, wenn sie verallgemeinert wird. Dazu kommt noch, daß die Handlung des „Cellini” mit dem Helden in einem Widerspruche steht: dieser ist ganz subjektiv, jene fast typenhaft objectiv gehalten. Einem von solcher musikalischen Gedankenüberfülle strotzenden Tonsetzer als Berlioz konnte die gegebene poetische Unterlage nicht immer genügen; daher sein ebenso häufiges als stets entschuldbares Beginnen, den Werth und die Bedeutung des Drama’s rein aus eignen musikalischen Mitteln so zu erhöhen und zu potenziren, daß Mittel und Zweck des Ausdrucks sich oft mit einander verkehren, oder wenigstens nicht hinlänglich geschieden bleiben, um dem Laien das Verständniß, d.h. das Gefühlsverständniß, des Ganzen zu ermöglichen. Nun ist aber die Berlioz’sche Musik überhaupt so subjektiven Charakters, daß dieses Gefühlsverständniß durch diesen Umstand noch erschwert wird, zumal da der Vorwurf eben ungegründet ist, Berlioz habe das ganze Drama in das Orchester verlegt. Er hat dem Drama nur musikalisch nachgeholfen, was schlimmer und besser ist, je nachdem man die Sache ansieht. Wenn es daher auch lediglich zu Gunsten des Dramas geschieht, daß der Componist die vom Dichter etwas vernachlässigte Teresa, die unter der sehr allgemeinen Maske einer ziemlich gewöhnlichen „liebenden Geliebten” als handelnde Person wenig für sich zu interessiren vermag, musikalisch reizend individualisirt, wenn er ferner den durchaus nicht sonderlich merkwürdigen Kunstmäcen Cardinal Salviati zu einem Träger der ganzen purpurnen Pracht der weltbeherrschenden Kirche hinaufobjectivirt hat, — so ist doch dies oft angewendete Setzen subjektiven Berlioz’schen Humors an die Stelle rein objektiver Situationskomik, wodurch eine drastischere Wirkung zuweilen bewußt verschmäht oder ohne den Willen des Componisten beeinträchtigt wird, ein bleibendes Hinderniß für die Popularisirung des „Cellini”. Der „Cellini” wird vielleicht eine nicht unbedeutende Minorität für sich erringen, eine Majorität nie. Und da das Streben jeder Minorität doch am Ende dahin geht, Majorität zu werden, so ist es zwar für das Heute das höchstmögliche Lob, wenn wir aussprechen: Cellini ist ein Werk für die Minorität, aber weniger für das Morgen, auf das wir doch am Ende sehr positiv zählen oder hoffen.

    Es würde viel zu weit führen, wollten wir in einem bloßen Referate über ein neues Tonwerk alle die Bemerkungen zu Papier bringen, die sich bei Anhörung und Prüfung desselben uns aufgedrängt haben, und mit Beispielen aus der Oper belegen. Wir brechen daher hier ab, um nun einer detaillirten Besprechung des musikalischen Theiles in Verbindung mit dem dramatischen Verlaufe Raum zu geben.

(Schluß folgt.)

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